Innenpersonen ernst nehmen? Von EPs, Anteilen und Introjekten

4. Aug, 2018 | Innenwelten und das Leben drumrum | 4 Kommentare

Sprache macht sehr viel aus. Bei den meisten Sprachdebatten bin ich eher Zuschauerin. Finde es wichtig, dass sich Menschen für Sprache einsetzen, die nicht ausgrenzt, aber ich bin nicht betroffen. Mir ist es emotional auch ziemlich egal, ob mich jemand Kunde oder Kundin nennt, das geht mir nicht nahe.

Das erste Mal nahe kam mir das Thema, beziehungsweise kommt es mir immer wieder, beim Wort „Missbrauch“. Argh. Dieses Wort wird überall verwendet – von Fachberatungsstellen, von der Justiz, von Betroffenen selbst.
Mir dreht sich da alles um, denn dieses Wort ist an der Stelle so falsch, falsch, falsch.

Mann kann nur etwas missbrauchen, das man auch gebrauchen kann. Man kann Macht missbrauchen. Aber keine Kinder! Denn ein Kind zu ge-brauchen ist schon wieder Gewalt. Und dieses Wort kann man sehr leicht ersetzen. Missbrauch klingt harmlos. So gewohnt. Anders als Gewalt. Sexualisierte Gewalt. Vergewaltigung. Im Missbrauch ist die Objektifizierung schon enthalten.

Und nun kommt die Sprache noch näher, verletzt mich auf ganz neuen Ebenen. Immer dann, wenn Menschen das Viele-Sein nicht nachempfinden können und versuchen, es in ein Modell zu quetschen, damit es weniger Angst macht. Oder warum auch immer.
Wie oft wurde jemand bei uns schon Täterintrojekt genannt, oder es wird von Anteilen gesprochen oder die weit Innen werden als EPs bezeichnet. Eine Abkürzung für eine Person? Wie entwürdigend ist das!
Mir ist klar, dass damit der Emotionale Persönlichkeitsanteil gemeint ist und dahinter die Theorie der strukturellen Dissoziation steht. Aber wir sind nicht das Ende einer Skala, bei der links „gesund“ und rechts „komplexe DIS“ steht! Viele sein ist nicht wie „das, was alle Menschen erleben, nur ein bisschen krasser“.

Die Aufspaltung ist natürlich, wenn man so will, keine „normale“ Persönlichkeitsentwicklung. (Vor allem ist nicht normal, solche Gewalt zu erleben, aber anderes Thema…) Aber darauf basierend wird dann so getan, als müsse oder könne man den „natürlichen Zustand“ wieder herstellen. Integration wird von manchen Therapeuten mit leuchtenden Augen als Ziel beschrieben. Als hätten die Jahre des Getrennt-lebens-in-einem-Gehirn nicht mit jedem von uns etwas gemacht! Ja, manche/ viele sind in der Zeit wie eingefroren. Aber nicht alle! Seit der Aufspaltung sind es viele Jahre gewesen, die jede Innenperson selbst erlebt hat.
Wir waren mal ein Stamm, aber jetzt sind es mehrere Stämme. Und jeder hat seine eigenen Äste und Zweige, Besonderheiten. Nach der Aufspaltung ging unser Leben, gingen unsere Leben, weiter! Und während bei einem Menschen, der nicht viele werden musste, die inneren Anteile alle in Wechselwirkung zueinander sind und nie getrennt agieren können, ist das bei uns anders.

Jede Innenperson hat ihre eigenen Gedanken, hat eigene Erfahrungen gemacht und eigene Schlüsse daraus gezogen. Jede hat eine eigene Persönlichkeit entwickelt. Zu Beginn waren viele vielleicht nur ein Fragment, manche sind nur ein Hauch, ein „Zustand“… aber es gibt viele, die eigene Personen sind, geworden sind… vielleicht könnte man es bei der Abspaltung noch als „Anteil“ bezeichnen, aber bei den Innenpersonen, die ich kenne, finde ich das zutiefst falsch und respektlos.

Ich habe Anteile – ein inneres Kind, einen inneren Kritiker, sowas. Innen-Personen sind wie eine zusätzliche Ebene. Die es sonst schlicht nicht gibt. Es sind viele Personen, und jede Person hat eigene Anteile. Man kann die Anteile einzelner (Innen-)Personen mit denen von gesunden Menschen vergleichen. Aber nicht die ganze Persönlichkeit.

Es sind auch keine Täterintrojekte, so als hätten sie nichts eigenes sondern wären bloß eine innere Kopie eines Täters… auf den ersten Blick kann es so scheinen, aber mittlerweile weiß ich es besser. Ich bin zutiefst demütig und ehrfürchtig manchen im Innen gegenüber. Ihre Werte sind vielleicht anders als meine, aber sie haben Unfassbares erlebt und überlebt und besitzen eine Weisheit und Tiefe, die ich so nicht habe – weil ich nicht ihre Erfahrungen gemacht habe. Und es gibt viele, die für einen großen Preis sich von Tätern distanzieren und Dinge hinterfragen, sonst wären wir nicht da, wo wir heute sind.

Genausowenig möchte ich ANP genannt werden… Anscheinend normaler Persönlichkeitsanteil, abgegrenzt vom emotionalen Persönlichkeitsanteil… so als hätte ich keine Emotionen. Ich weiß, das ist im Modell differenzierter gemeint.

Aber wenn ein Helfermensch mir gegenüber sitzt, dann macht es mich sprachlos, wenn er diese Abkürzungen verwendet, während er über jemanden von uns redet. Und genauso, wie es ein Einsmensch merkwürdig fände, von mir als Anteil bezeichnet zu werden, findet das auch jede Person unseres Systems abschreckend!
Man fühlt sich nicht gesehen als die Persönlichkeit, die man ist. Man fühlt sich nicht ernst genommen, degradiert. Zu etwas erklärt, dass der „Mensch“, die „Hauptperson“ irgendwann „integrieren wird“… 

Die Einzigartigkeit ist zu offensichtlich. Während ich hier schreibe erlebt im Innen jemand etwas ganz anderes – parallel, nebeneinander her! Das ist ein fundamentaler Unterschied zu Anteilen von gesunden Menschen, denn die führen kein Eigenleben. Die können alleine gar kein Eigenleben führen.

Wir aber schon.

Und ich finde die Verwischung zwischen den Begriffen, die Überschneidungen, sehr problematisch – beim Begriff „Anteil“ weiß man mittlerweile gar nicht mehr, was gemeint ist. Auch unter mind control verstehen viele Menschen eher Zaubertricks oder das, was in Krimi-Serien vorkommt… Ich lese oder höre auch oft von Menschen, dass ein „Programm“ läuft oder dass sie „da eine Konditionierung“ haben – und dann sind darunter ganz andere Dinge gemeint, als ich mit diesen Worten sagen wollen würde…

Neulich stand ein Innenkind von uns im Bad und weinte, weil es sich aus Versehen im Spiegel gesehen hat. Beziehungsweise – eben nicht sich, sondern den Körper. Und dass es in so einem alten Körper steckt, war für das Kind gruselig und schrecklich. „Das bin ich nicht…“
Diese Auseinandersetzungen und Gefühle, die viele von uns haben, sind Konsequenzen unseres So-seins. Wir wünschen uns Anerkennung. Als Viele leben ist fundamental anders, als Anteile zu haben, die bloß noch nicht genügend „zusammengerückt“ sind.

Es bringt sehr spezifische Themen mit sich. Es ist in vielen Bereichen wirklich eine ganz andere Art, Mensch zu sein.

Erst wenn diese Andersartigkeit wirklich ernst genommen wird, können wir Brücken zu anderen Menschen bauen und Vergleiche oder Bilder vorschlagen, um es nachvollziehbar werden zu lassen.

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