kompetent krank

26. Feb, 2019 | Innenwelten und das Leben drumrum | 4 Kommentare

Während man sich wünscht, man könnte ein „normales“ Leben führen, ohne daran be_ge_hindert zu werden, ist man abwechselnd zu viel und zu wenig krank. Selten passend.

Im Beruf kann man nicht kompetent genug sein. Fehlzeiten? Fehlanzeige. Oder – Scham. Auf keinen Fall unzuverlässig sein. So viel Ungenügend, so viel „zu wenig“, so viel falsches Schuldgefühl, das macht, dass wir eben noch mehr und noch mehr und noch ein bisschen mehr tun. Unermüdlich. Auf keinen Fall soll jemand merken, dass wir weniger belastbar sind als andere. Also sind wir eben doppelt so belastbar. Funktionieren ins Außen und kämpfen darum, uns dabei nicht zu verlieren – Balanceakt!

Denn wären wir einmal als „die Kranke“ entlarvt, wer würde uns jemals wieder Kompetenz zugestehen?? Und dieses „Ganz oder gar nicht“ macht so ungeheuer viel Druck, Angst und Schmerz.

Und dann, Therapiesuche – wie krank muss man sein, um auf Wartelisten vorzurücken, um nicht abgewimmelt zu werden – aber wie kompetent und „gesund“ muss man sein, damit das Gegenüber nicht abgeschreckt ist, sondern im besten Fall sogar helfen möchte? Und dann, der Satz: „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann.“ – wieder zu kompetent, zu unerschütterlich gewirkt, während man über Zerbrochenes und Zerbrechendes geredet hat – das kam wohl nicht an.

Schwerbehindertenausweis. Verschlechterungsantrag: bin selbst geschockt, wie kaputt wir klingen, wenn man mal nur die Behinderungen aufschreibt, ohne etwas in Resilienzwölkchen zu packen. Aber ist das schon behindert genug, um (erneut) als behindert anerkannt zu werden?

Wir können gar nicht das sagen, was wir gerne sagen möchten:

An manchen Tagen überfordert uns das Atmen!! Wir leben, ist das nicht megakrass???

Und an anderen Tagen, manchmal auch andere von uns, sind belastbarer und geordneter als viele „Normalos“ da draußen. Also bitte nimm uns ernst, wir brauchen keine Wattebauschkommunikation! Und ja, wir können einen privaten Bereich leben, der so voller Verzweiflung überläuft, dass wir nicht wissen, wie weiterleben gehen soll. Und daneben kann es  Bereiche geben (und gibt es!), in denen wir hochfunktional, empathisch und achtsam, äußerst hilfreich für andere sein können.

Berufliche Verantwortung und krisengebeuteltes Kinder-Innen – das schließt sich nicht aus, wenn man Viele ist. Die Notwendigkeit der Selbstreflexion kann im Gegenteil zu einem sehr genauen Kennen der eigenen Grenzen führen.

Aber so ist das nicht konzipiert. Man kann keine Sozialhilfe bekommen für Monate, in denen kaum etwas möglich ist, und im nächsten Moment sehr gut verdienen, weil man arbeiten kann. Es ist sehr schwer, zu erklären, dass man behindert ist, wenn man grade munter alleine laufen kann – aber es kann eben jederzeit kippen, und im schlimmsten Fall sitzt man komplett gelähmt in irgendeiner Öffentlichkeit, mit Krämpfen am ganzen Körper und Horror im Kopf.

Um Opferentschädigung zu bekommen, kann man gar nicht „kaputt“ genug sein – allerdings wird das ohne Anzeige schwer. Für eine Anzeige sollte man möglichst komplett normal sein, sonst ist man unglaubwürdig. Aber bitte nicht zu selbstbewusst oder gar kämpferisch, denn das passt nicht in Opfer-Klischees… Für das OEG braucht man eigentlich eine gut dokumentierte, jahrelange Therapiegeschichte. Aber vor Gericht sollte man am besten nie bei einem Therapeuten gewesen sein, denn der hätte einem die Erinnerungen ja „suggerieren“ können (FMF sei dank…), ergo kann die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu 100% Bestand haben, also wird ein Verfahren in über 70% der Fälle noch vor der Hauptverhandlung eingestellt… Traumafolgen sind plötzlich Indizien fehlender Glaubwürdigkeit, statt stattgefundener Gewalt…

Und für Freunde und Bekannte?

Dass wir eher wenig emotionale Ausbrüche in Gegenwart anderer Menschen erleben, geleitet einige zu der Annahme, wir wären sowas wie der perfekte Kummerkasten. Es hat Jahre gedauert (und dauert noch), zu lernen, dass wir nicht helfen müssen, nur weil wir helfen können. Denn das Können war scheinbar unbegrenzt.

Den Konflikt zwischen „kranker Psychiatriepatientin“ und „kompetenter, unkaputtbarer Überlebender“ haben wir für uns relativ gut geklärt. Wir sind alles und nichts davon. Nicht so wertlos, wie wir glauben; nicht so zerstört, wie wir uns manchmal fühlen; nicht so stabil, wie wir glauben sein zu müssen und zuweilen nach Außen wirken. 

Aber dieses Alles-sowohl-als-auch mit dem Leben da draußen klarzubekommen, das ist oft so mühsam und schwer. Und meistens fällt die Entscheidung dann doch wieder für „nach Außen funktional das Leben wuppen“ aus. Und anderes in uns bekommt keinen Raum. Damit halten wir uns aber letztlich in alten Dynamiken. Und der Preis dafür ist viel zu hoch, auch wenn es ein gewohnter Schmerz ist, der daher kaum fühlbar ist im Außen…

Auch dafür schreiben wir diesen Blog – um die Seiten zu befreien und Raum zu verschaffen und sichtbar zu machen, was sonst zu leicht verschwindet.

 

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