Von der Kunst, eine Traumatherapeutin zu finden

7. Jul, 2018 | Therapie und Aufarbeitungsversuche | 4 Kommentare

Keine Hilfe brauchen wollen, aber doch Hilfe brauchen – das ist ein Dilemma, in dem ich mich immer wieder befinde, doch seit uns das Ausmaß unseres inneren Systems bewusster wurde, hat sich das ganze nochmal verschärft. Es ist für mich eine Tatsache, dass es Bereiche in mir gibt, zu denen ich nicht in Kontakt kommen kann – dafür brauche ich Hilfe.
Selbst wenn es keine belastenden Traumafolgesymptome gäbe, wäre ich in diesem Punkt auf eine Vermittlerin im Außen angewiesen.

Menschen, die auch Viele sind, kennen vermutlich die Versorgungslage zu gut… es sei denn, man hat das Glück, die EINE wirklich kompetente Therapeutin zu finden, die sich auskennt, und die dann auch noch menschlich passt… das grenzt wohl an ein Wunder. Ich habe schon sehr, wirklich sehr tolle HelferInnen erlebt, weshalb ich daran glaube, dass es prinzipiell möglich ist, wieder jemanden zu finden.

Praktisch sieht das so aus: 100 Telefonate, ein paar davon münden sogar in ein Gespräch mit einer echten Person – meistens einer Sprechstundenhilfe – und dann kommt die Ansage: die Warteliste ist voll. Probieren Sie es woanders.
Ich versuche dann zu argumentieren, dass jede Warteliste bei jedem „voll“ ist, und dass ich gerne da drauf würde, auch wenn es noch ein Jahrzehnt dauert. Was bleibt einem anderes übrig?
Und ich wohne noch nicht einmal besonders ländlich… ich habe mir also angehört, dass ich doch nur „meine Ansprüche runterschrauben“ müsse, dann würde ich auch „eher jemanden finden“… als ich Vorgespräche bekam, wurde es nicht besser. Ein paar Therapeutinnen brachten natürlich das: „Ob Sie das jetzt Ego-States, Anteile oder Personen nennen wollen, ist mir egal, das ist doch eh alles dasselbe…“; eine andere wusste eine Technik, „mit der man die destruktiven Anteile einfach löschen kann“, und noch eine (bei der machte ich mir wirklich Hoffnung, weil Sie sich theoretisch auskannte) empfahl mir in den ersten Sitzungen, ich solle alles/ jedem vergeben.

Was mich daran tatsächlich wundert, ist: warum bilden sich so wenige TherapeutInnen fort? „Trauma“ steht mittlerweile auf jedem 2. Praxisschild, fast jeder kann „natürlich auch Komplextrauma“ behandeln – doch wenn man die Menschen kennenlernt, wissen sie weit weniger als man selbst, und das was sie wissen, ist gefährliches Halbwissen. Noch nie habe ich den Satz: „Ich kenne mich nicht aus/ habe damit keine Erfahrung, aber ich bin offen, mich weiterzubilden“ von einer Therapeutin gehört. Wenn ich nachfragte, ob sich jemand mit Mind Control auskennt, kamen ausweichende Antworten, die wohl Kompetenz demonstrieren sollten, während es offensichtlich wurde, dass die betreffenden Personen nicht einmal das Wort kannten. Wenn schon eine Therapeutin nicht ehrlich zu ihrem Nicht-Wissen stehen kann, wie soll sie komplex traumatisierte KlientInnen behandeln??
Wütend macht mich das, wenn ich auf meine lange Historie von Fehldiagnosen und Umwegen und retraumatisierende Behandlungsversuche zurückblicke. Ist es nicht eine Pflicht, sich in dem Bereich, in dem man arbeitet, auszukennen?
Gerade die Therapeutinnen, die auf Komplexe PtBS spezialisiert sind, kennen sich zu oft trotzdem nicht aus – haben teilweise noch nie oder nur am Rande von der DIS gehört. Auf einer Traumastation einer Klinik wurde grundsätzlich keine DIS als Diagnose gestellt, das sei ja „alles eine Form der PtBS“…

In Wirklichkeit, und das weiß jeder, der sich damit näher beschäftigt hat, ist es etwas fundamental anderes.
Viele zu sein bedeutet für mich, dass meine Schwerst-Traumatisierung im Alltag relativ unsichtbar bleibt. Es kommt nicht „einfach von alleine hoch, wenn es an der Zeit ist“. Ich könnte mein ganzes Leben lang niemals eine Aufarbeitung anstreben und damit irgendwie überleben. Meine Krisen kommen, sind heftig, aber hinterher sind mir die Gefühle so fremd, dass ich mir nicht vorstellen kann, ichwir hätten irgendetwas Schlimmes, schon gar nicht diese Gewalt, die eigentlich nur in Horrorfilmen existieren sollte, erlebt… es ist auch mein „Job“ als Außenperson, das Trauma abgespalten zu halten.

Uns kennenzulernen, in Kontakt zu kommen mit denen, die unvorstellbar Grausames erlebt haben, das ist für mich immer wieder eine bewusste und aktive Entscheidung. Mir ist es sehr wichtig, Schritte der Aufarbeitung zu gehen, anders würde sich das Leben für mich sinnlos anfühlen. Und doch kann es manchmal ein Problem werden, dass man in entscheidenden Situationen meist erstaunlich gut „funktioniert“ und die Krise dann zum Beispiel nachts, alleine, kommt und einige Stunden später wieder nebulös verdrängt werden kann. Wenn man beispielsweise die Dringlichkeit der eigenen Hilfsbedürftigkeit kommunizieren muss, aber eben nicht in Tränen aufgelöst, mitgefühlserregend dasitzt, sondern die Mimik einer Steinstatue hat mit dem Charme eines Holzklotzes.
Nicht, dass es nicht auch die Tränen gebe, aber normalerweise nicht sichtbar für andere. Als Kind musste man schließlich immer wieder Tode sterben können und am nächsten Tag gut gelaunt zur Schule gehen. Wir sind Meister darin.

Ich hoffe noch auf mein Therapie-Wunder. Aber ich hoffe auch, für alle, die den mutigen Weg des Ausstiegs gehen wollen, dass Therapie irgendwann eine Selbstverständlichkeit ist… kein Wunder mehr.

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