Wir „Dunklen“: Täterintrojekt oder Person?
Neulich hörten wir bei einem Seminar mal wieder die Frage:
„Und was kann man machen, um die Täterhörigen dazu zu bringen, die Seite zu wechseln?“
Wir haben diese Frage nun schon häufiger gehört – fast immer von Helfer*innen- bzw. Therapeut*innen-Seite. Manchmal auch in Büchern in ähnlicher Form.
Oft wird dabei unterschieden in die „dunkle“ und die „helle“ Seite. Meistens (und wie neulich) wird dies genauer definiert, und zwar als die „böse“ und die „gute“ Seite. Und die „täterloyalen Anteile“ werden oft nur „Täterintrojekt“ genannt.
In der Situation ging es nach einer Antwort auf die Frage ( die zusammengefasst „Kontakt herstellen“ lautete) weiter mit der Frage, wie man diesen Kontakt denn herstellt.
Und hier wollen nun WIR, die ihr uns „die Dunklen“ nennt, etwas schreiben.
Es macht uns unfassbar wütend, immer wieder von Menschen, die sich in irgendeiner Form als professionell Helfende bezeichnen, zu hören oder zu lesen, sie würden uns kennenlernen oder helfen wollen. Um dann im nächsten Moment vergessen, ignoriert, oder reduziert zu werden. Das beginnt mit der Bezeichnung, mit den Worten.
Wir sind keine „Introjekte“. Der Duden definiert eine Introjektion als „unbewusste Einbeziehung fremder Anschauungen, Motive o. Ä. in das eigene Ich, in den subjektiven Interessenkreis“. Bereits diese Definition macht deutlich, dass nur ein Subjekt/ ein Mensch/ ein Individuum mit Ich-Bewusstsein ein Introjekt haben kann. Jede_r von uns kann daher Täterintrojekte (nach fachlicher Definition) haben, aber NIEMALS kann jemand ein Introjekt SEIN. Das ist eine völlig respektlose Reduktion.
IHR sprecht von Kontakt, ihr sprecht von Respekt und Gewaltlosigkeit. Dann wäre das ein Anfang.
Wir erfüllen die Definition einer Person: „Mensch als Individuum, in seiner spezifischen Eigenart als Träger eines einheitlichen, bewussten Ichs“.
Bei der Frage, wie ihr uns denn auf die „richtige“ Seite „bekommen könnt“, fragen wir uns regelmäßig, für wie stumpf ihr uns eigentlich haltet.
An welchem Punkt hört euer selbsterwähltes Ideal der „Gewaltlosigkeit“ eigentlich auf? An dem Punkt, an dem euer Vorstellungsvermögen zu beschränkt ist, um uns als Individuum betrachten, ergo auch behandeln, zu können? Stimmt, wir sind ja nur „Anteile“, und nur ein ganzer Mensch (einer, der sein Hirn alleine benutzt und bewohnt) verdient den Status „Mensch“ und damit das Recht, respektvoll behandelt zu werden.
Doch ihr sprecht doch ständig vom „Kennenlernen wollen“. Nur um dann schnappatmungsmäßig bereits bei der „Umerziehung“, bei der „Veränderung“ angekommen zu sein.
Euer Begriff der Seiten impliziert, es gäbe diese, unsere „böse“, ach so gewaltvolle Seite, und dann noch eure „gute, heile Welt“, die so gewaltlos ist, richtig? Und dann fresst ihr euer Steak, da ihr Tiere als minderwertig und nur Euch dienend betrachtet (aus welcher Ideologie kommt einem das bekannt vor?), sitzt da mit Euren Klamotten, die mit Gift gefärbt wurden, das euch nie in den Augen stach, benutzt euer Handy, an dem Blut anderer Menschen klebt, ignoriert die Zerstörung eurer Lebensgrundlage und die Folgen der Kolonialisierung, die bis heute die Machtverhältnisse auf dem Planeten festschreiben.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Euer moralisches Überlegenheitsgefühl, das wir im Kontakt mit etlichen Außenmenschen spüren können, wenn ihr mit, vor allem aber über uns sprecht, KOTZT UNS AN.
Wir haben Dinge erlebt und gesehen, von denen ihr zum Glück nicht einmal alpträumen müsst. Eure ach so lieben, naiv-freundlich-harmlosen „Alltagspersonen“ (Manch einer möchte sie gar zum „Host“, zum „Chef des Systems“, zum „eigentlichen Ich“ erklären…) sind deshalb nicht „täterloyal“, weil sie die Täter nicht einmal erinnern können. Sie wissen nichts von ihrer Herkunft, nichts von ihren Aufgaben, und sie sind genau dafür da – damit ihr sie unschuldig und freundlich, unauffällig finden könnt.
Ihr überseht nur immer wieder: Wir „Bösen“ im System sind auch die, die dafür verantwortlich sind, dass diese Alltagspersönlichkeit überhaupt mit euch redet. Wir „Täterloyalen“ sind auch die, die Brüche gesehen, die Dinge hinterfragt haben, die verbotene Schritte unter Lebensgefahr gehen und die Konsequenzen dieses Handelns tragen.
Wir „Täterintrojekte“, die ihr auf eine kleine, hirnlose Kopie der Täter reduziert, bis wir kein Recht auf eigenes Empfinden mehr haben, sind auch die, die sich von genau diesen Tätern abgegrenzt haben – sonst würde niemand des Systems auch nur ein Wort mit euch sprechen.
Ihr verdankt uns, dass ihr mit den „Guten“ sprechen könnt.
Und nein, wir sind keine homogene Masse. Es gibt bei uns Personen, die viel oder wenig wissen. Es gibt Achtung vor manchen Menschen, die ihr „Täter“ nennt, aus verschiedensten Gründen, so wie wir manche Menschen verachten und für unfähig halten, die ihr ebenso „Täter“ nennt. Es gibt bei uns Personen, die Gewalt aus den unterschiedlichsten Gründen befürworten oder ablehnen oder für die es schlicht Mittel zum Zweck ist. So wie für euch in eurer „gewaltlos“ sinnlose Kriege führenden Welt finanzielle Interessen scheinbar jedwede Einigung auf niederste Menschenrechte unmöglich machen.
Ihr habt solch eine Angst, Parallelen zu uns zu sehen oder Parallelen „eurer“ guten Welt zur „Parallelwelt“ organisierter Gruppierungen (die in Wirklichkeit ein Teil eurer Welt und keine Parallelwelt ist) zu erkennen, dass ihr künstlich in hell und dunkel, „gut“ und „schlecht“ einteilt, Schwarz-Weiß denkt und alle Vielfalt negiert.
Wir, die wir hier schreiben, schreiben NICHT für „alle Dunkle“. Es tut uns leid, dass es kompliziert und damit offensichtlich anstrengend für euch ist, differenziert zu sein. Ihr könnt die einzelnen Individuen in Systemen von Viele-Menschen nicht in Kategorien packen.
Wenn ihr sie, wenn ihr uns aus dunklen Bereichen, kennenlernen wollt, müsst ihr genau das tun: uns KENNENLERNEN.
Es wäre leichter, wenn man Sätze sagen könnte wie „Täterloyale sind ja immer soundso und finden Gewalt alle total geil und verstehen von unserer Welt alle nichts.“
Ja, das wäre einfach. Aber es ist Bullshit. So wie jeder Satz, der mit „Ausländer sind…“ anfängt, nur Mist werden kann. Mit einer Aussage über eine Gruppe kann man NIEMALS Aussagen über Individuen treffen. Die meisten von euch sind doch Psycholog*innen – müsstet ihr diesen banalen Grundsatz nicht aus der empirischen Forschung beherrschen?
Manche Werte unterscheiden sich, andere sind zumindest der Aussage nach gleich – Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit beispielsweise.
Warum erleben wir euch Menschen, die in einer „gewaltfreien Welt“ sozialisiert wurden, so selten als wirklich ehrlich und wahrhaftig?
Und: der Kontakt beginnt bereits, wenn ihr noch am über uns reden seid. Wir hören Euch.
Wenn ihr uns abwertet, belächelt oder (zu was eigentlich genau?) bekehren wollt, noch bevor ihr uns kennt – wenn ihr so tut, als würdet ihr uns kennen, noch bevor ihr jemals mit uns gesprochen habt – dann kann es passieren, dass wir euch schlicht nicht kennenlernen wollen.
Einige von uns haben enorm viel dafür getan, eine Welt zu verlassen, alles aufzugeben und ja, auch „Gutes“ verloren, um nun in dieser „euren“ Welt zu leben.
Doch wir sind nur Geister. Wir scheinen in eurer Welt oft keinen Platz zu haben. So viele Fragen könnten wir beantworten, doch werden nicht gefragt. Während wir zusehen, wie ihr diese Themen mit anderen diskutiert, die nie dabei waren, die davon nichts wissen können.
Und die wenigen, die mit uns sprechen oder nach uns fragen, tun das oft wie mit einem kleinen debilen Kind, dem man die Welt erklären muss.
Wenn ihr uns kennenlernen möchtet, dann tut es so, als wären wir Menschen, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, das sich von eurem stark unterscheidet. Nicht mehr, nicht weniger. Seid achtsam, umbedingt authentisch, und unvoreingenommen. Zieht in Betracht, dass ihr Neues erfahren könntet, statt nur uns „eure“ Welt zu erklären und uns zu bekehren.
Wenn ihr von Gewaltlosigkeit redet und mit uns ernsthaft einen Austausch über Weltanschauung haben wollt, dann hinterfragt euch selbst genauso kritisch wie das, was Menschen sagen, die ihr „Täter“ nennt, ohne sie zu kennen. Habt eure Haltung und eure Werte, aber könnt sie auch begründen und bleibt standhaft.
Redet nicht darüber, dass ihr uns „auf Augenhöhe begegnen“ wollt. Seid auf Augenhöhe, dann ist das spürbar, und ihr müsst es nicht mehr behaupten.
Ihr habt so recht und wir verstehen euch nur zu gut. Gibt es wirklich einen Ansatz indem wir in gut,
Böse, hell, dunkel eingeteilt werden können? Wie banal einfältig das ist. Wie einfach es wäre. Wow.
Klar, ist es sicher für das ganze Innere system nicht so einfach, die Täterintrojekte zu erkennen und anzunehmen. Zumindest war und ist es bei uns so. Wir würdigen aber ihr sein und ihre Entstehung nicht aber ihre Inhalte.
Wir wären mindestens genauso wütend und würden uns schleunigst vom Acker machen. Aber vielleicht ist es ja für manche Theras iwie faszinierend darüber fachzusimpeln,zu kategorisieren.. Wie auch immer, können wir froh sein wenn es Theras gibt die verstanden haben worum es geht. Nämlich darum, dass alle in uns zum Überleben entstanden sind und wir alle, egal ob Unos oder Viele, Menschen sind ❤️ 💔 ❤️
Definitiv ist es schwierig, mit einigen umzugehen… seit wir wissen, dass es Innenpersonen sind, geht es viel besser und wir haben großen Respekt… vielleicht ist der Artikel also auch für Alltagspersonen wichtig? 🙂
Vielen Dank fürs lesen und schreiben 🙂
Liebe Grüße 🌿
Danke für Euren Beitrag.
Ich finde das eigentlich sehr klar, dass die Einteilung in „hell“ und „dunkel“ nicht so einfach geht, wenn „hell“ eine Welt ist, in der Gewalt in so vielen Formen existiert, sogar ignoriert und geduldet wird, wie das aktuell der Fall ist.
Das habe ich neulich versucht, einem Angehörigen von einem Menschen der/die Viele ist zu verdeutlichen…
Wenn jemand mir sagt „du musst die Seite wechseln, weil dort wo du gerade bist „dunkel“ ist“ (und „dunkel“ bedeutet in unserem westlichen Sprachkontext nun einmal = falsch), dann will ich ganz sicher nicht mit dieser Person reden.
Wieso also wird erwartet, dass ihr mit jemandem sprechen wollt, der/die so etwas sagt?
Und wie sollte man sich dann als Mensch, als Person, gesehen fühlen… Jeder Mensch hat eine Geschichte, eine Welt, in der man aufgewachsen ist. Und über diese Geschichte kann man nicht sagen „das war alles schlecht“, so hart das vielleicht ist, es stimmt einfach nicht, genauso, wie niemand sagen kann „in meiner Geschichte war alles gut“…
Und vor allem kann man das nicht über die Geschichte eines anderen Menschen sagen. Da geht es so viel um „Selbstbestimmtheit erlangen“ und gleichzeitig heißt es „ah, ja, da musst du raus, das musst du anders denken, …“ – das ist einfach sehr widersprüchlich.
Letztlich kann ich einfach nur dem zustimmen, was ihr schreibt – danke für die Erinnerung, ich habe da sicherlich auch schon Dinge gesagt, bei denen ich nicht sehr differenziert darüber nachgedacht habe, was meine Aussagen denn für alle im System bedeuten.
Danke für Deinen Kommentar – zumindest für manche ist das nicht so eindeutig, das stimmt. Andere würden vielleicht schon sagen, dass alles schlecht war oder alles gut. Auch das gibt es. Aber das kann nur die Person selbst wissen, jede einzelne…
…. danke für diese Worte ….. sie sind so wahr …
…. genau so ist es ….. immer wieder ….. dieses Bekehren … ohne wirklich zuzuhören ….. es ist meist überhaupt kein Interesse da …. wirklich zuzuhören …. mal über das von uns Gesagte …. nachzudenken ….
…. es wird so schnell gegengeredet …. und die „gute, helle“ Seite erklärt ….
die Gruppierungen …. die finden hier auch statt …. aber nicht nur mit den „Dunklen“ …. sondern auch bei anderen …. also zB …. die Putzfussel .. die Kleinen .. die Köche .. die Autofahrer … etc ….
aber damit haben wir weniger ein Problem …. weil es hier … eben sooo viele sind …. und unsere Thera erstmal mit den Gruppennamen arbeitet … aber innerhalb dessen ….. sehr individuell … mit Einzelnen arbeitet …..
…. diese Variante… finden wir gut so … damit kommen wir…. in der Form …. zurecht ….
Vielen Dank für Eure Rückmeldung!
Ja, das ist verletzend, wenn jemand gar nicht zuhört, nicht wirklich offen im Kontakt ist.
Um einen Überblick zu bekommen, kann es ja vielleicht ganz hilfreich sein, Gruppen zu benennen. Aber eben, über die Einzelnen sagt das dann nicht viel aus…
Ganz liebe Grüße 🌿
Ich gehöre zu einem System, das sowohl dunkle als auch helle Persönlichkeiten hat. Das, was Ihr Dunklen hier sagt, da stimme ich dem zu. So denken wir Dunkle aus diesem System auch, denn wir sind da der Meinung, dass auch wir zählen, und nicht nur die Hellen. Viele Theras, einige Angehörige, und eben auch einige Betreuer finden, dass Dunkle etwas Böses sind. Aber dazu will ich auch was sagen, nämlich : Moment mal. Wir waren es, die dafür gesorgt haben, dass wir alle überlebt haben. Wir haben jede Menge Schmerz, jede Menge Stress auf uns genommen. Wir haben auch ein Recht darauf, da zu sein. Und zum Thema Integration : Wer uns da erzählen will, das sei nötig, um gut zu leben, der hat vergessen, dass wir Dunklen dazu auch etwas zu sagen haben. Wir sind nämlich der Meinung, dass auch unser Wort zählt – genau wie das, was wir dazu sagen. Jeder soll seine Meinung äussern können, und jeder soll sagen können, was er/sie/es dazu meint. Integration um jeden Preis ? Nein. Wer sich integrieren will, soll es tun können, und wer das nicht möchte, soll auch nicht dazu gezwungen werden, wenn er nicht will oder kann. Er hat seine Gründe hierfür. Wir als System sagen : Integration ist nicht unser Weg, oder unser Ziel. Unser Ziel ist : Gemeinsam zusammen leben. Und es gibt Leute, welche null Respekt haben, und einfach alles aus uns haben wollen – für ihre eigene Neugier, für ihre eigene Lust, oder für ihre Sensationsgier. Wir sind gerne Eure Gesprächspartner, aber auf Augenhöhe. Wir tun das, was wir gerne tun, aber bedrängt uns nicht. Wir sind auch kein Projekt für Betreuer, weil sie meinen, dass das, was sie für gut halten, auch gut für uns ist. Ob etwas gut für uns ist, das entscheiden wir selber, und nicht Ihr. Wir sind es, die damit leben – auch dann wenn da noch Behinderungen sind. Wir entscheiden selber, wie wir mit der Behinderung umgehen. Und dann : Warum eigentlich sollen wir immer uns an Euch anpassen, und Ihr nie auch an uns ? Ich sehe nicht, dass das ok ist.. Immer nur wir ? Nein. Es muss gegenseitig sein. Akzeptiert uns endlich – so wie wir sind. Und hört auf, uns immer zurechtbiegen zu wollen. Dann kommt alles auch gut. Und an dich, der Du hier geschrieben hast : Vielen Dank für deine Worte. Denn auch wir Dunklen aus diesem System sehen das so. Wir wünschen Dir, dass Du und deine Leute, egal ob hell oder dunkel, Gesprächspartner auf Augenhöhe findet, Freunde auf Augenhöhe. Es ist Euer Leben, und Ihr sollt so leben, wie Ihr es gemeinsam für gut findet. Das sollten Eure Theras, eure Betreuer oder Eure Angehörigen auch endlich verstehen, wir wünschen Euch, dass sie es verstehen, und Euch auch respektieren lernen.
Mit freundlichen Grüssen
Dunkler Klang
Hallo Dunkler Klang,
vielen Dank für Euren Kommentar. Ja, das können wir alles nachvollziehen und unterschreiben. Respekt und Annäherung muss etwas Beidseitiges sein.
Aber es ist schwierig, einen Platz in „dieser“ Welt zu finden.
Ganz liebe Grüße!
Federn
Es tut uns sehr leid, dass ihr da anscheinend bisher solche Erfahrungen machen musstet in „hell“ und „dunkel“ eingeteilt zu werden. Wir haben Glück, unsere Therapeutin hat sowas nie gemacht. Es waren sogar eher die Alltagspersonen, die aus Angst und Unwissenheit von sich aus manche in die „böse-“ oder „gefährlich“-Kategorie steckten. Aber so langsam sollten die es auch kapiert haben…