Die Unsichtbaren
Ich. Unser Außenname, der Name des Körpers – ich nenne ihn mal Marie. Der Name, auf den i c h höre. Über den von Innen oft in 3. Person gesprochen wird. Stimmen verwenden diesen Namen. Manche fast spöttisch. Wer ist eigentlich gemeint, wenn dieser Name fällt? Mehrere hören auf ihn. Marie. Ein Konstrukt? Die Hülle. Aber wer ist I C H?
Wenn ich „Ich“ sage, wird das von Außenmenschen nicht hinterfragt. Das Ich wird erwartet, und daran geknüpft ist ein Bild meiner Person – oder sollte ich sagen, der Hülle und uns im Außenauftritt? Das ich wird auch hier von uns nicht hinterfragt, denn wir dürfen-sollen-können es nicht. Uns als Individuen wahrnehmen. Da ist nur: der Körper sagt X, ich tue X, also bin ich X.
Als Jugendliche wurde klar: da bin nicht nur i c h, da ist noch etwas anderes… wie kann ich in solch „merkwürdige Zustände“ geraten, in denen ich Dinge tue und sage, die „ich“ doch niemals tun würde? … Jahre später. Wir sind Viele – das ergibt Sinn, erklärt so vieles – aber warum fühlt es sich meistens nicht so an? … also noch genauer hingeschaut: eine Hülle ins Außen, eine Grenze, von Außen sieht es glatt aus. Von Innen? Ein Kommen und Gehen, Wechsel, manchmal mitten im Satz, verschiedene Personen, die beeinflussen, in Beziehung treten, kommunizieren, handeln, denken… ich soll mich über das wahrnehmen, was der Körper sagt/ tut/ denkt, damit ich mein ICH als das Gesamtbild wahrnehme… um nicht zu merken, wie zersplittert wir darunter in Wirklichkeit sind…
Da ist plötzlich so eine tiefe Traurigkeit gewesen, neulich, als gespürt wurde, wie unsichtbar WIR sind… nicht nur nach Außen, auch für einander. Es ist nichts, das ich Außenmenschen vorwerfen könnte, im Sinne von: he, nehm uns wahr.
Denn diese Hülle ist nahezu perfekt. Als Kind wurde wahrgenommen: Marie ist fröhlich, anständig, ein braves Kind, ein höfliches Kind, ein pflegeleichtes Kind, Marie ist rücksichtsvoll, Marie ist gebildet, reif für ihr Alter, Marie ist sehr klug. Manchmal auch: Marie ist „abwesend“, still, in sich gekehrt… aber die fröhliche Hülle funktionierte gut genug, damit sich niemand ernsthaft Sorgen machte. Dann, nach der Benutzung einfach umprogrammiert: Marie die Kranke, die Psychotische, die Depressive, die Stimmungsschwankende… aber immernoch: Marie, eine junge kreative Frau, in vielen Situationen auch kompetent, niemals wirklich gebrochen… niemand, um den man sich so viele Sorgen machen müsste, dass man genauer hinschaut – es geht ja alles gut. Seltsam fremd kommt sie mir gerade vor, wenn ich das aufschreibe. Diese Fremde erschreckt mich manchmal, wenn ich in den Spiegel sehe. Ich sehe weg und denke, dass es am nächsten Tag wieder anders ist.
Es gibt viele Ichs, aber wir sollen uns als Marie sehen – die, die vorne sind… Fast gruselig, wie gut es funktioniert. Manchmal nehmen wir es selbst wahr… da, war da nicht gerade ein Bruch? Moment, die Handschrift, die war doch eben noch ganz anders… der Gedanke ist nicht von mir… jemand anderes tritt weiter vor, nachdem etwas gefragt wurde…
Dieser tiefe Wunsch, sich mal als ICH mit Grenzen zu spüren, mal von den Anderen wegtreten zu können und dann, als nur ICH wahrgenommen werden von anderen und von Außenmenschen…
Sie haben die Gewalt denen angetan, die im Innen sind, und dann definiert, dass Marie nie Gewalt erlebt hat. Marie, das Mädchen, das man ist, wenn man mit dem Außen interagiert.
Sie wollten ein Mädchen haben, das lächelt, das fröhlich ist, dass sich freut, wenn sie Kunden-Täter sieht… das ergeben, demütig, willig ist… und ein anderes Mal, aber im selben kleinen Körper, wollten sie ein Mädchen haben, das sich wie eine kleine Erwachsene verhält, das sie zur Hure machen können… ein Mädchen, das sich vor Lust windet, wenn es vergewaltigt werden soll. Und wenn sie es befehlen, dann kam ein anderes Mädchen, das weint, das entsetzliche Angst hat, an dem sie sich aufgeilen können… und dann rufen sie ein Mädchen, das sich für ihre Widerwärtigkeiten bedankt und eines, das um Schmerzen bittet… und dann rufen sie ein Mädchen, das wieder fröhlich ist, damit sie sich gut fühlen können…
Sie redeten über m i c h, als wäre i c h ein Gegenstand: „Sie kann auch XY, Sie müssen nur Z sagen, dann tut sie es.“
Und die, die im Außen sein sollen, die erwachsen wurden… sie alle sollen sich als Marie betrachten. Ohne Erinnerung.
Aber es bröckelt, denn Erinnerungen kommen zurück und wir spüren die Brüche…
wir spüren die Sehnsucht nach Gesehen werden, obwohl wir unsichtbar sind…
Dieser Beitrag beschreibt das Selbst-Gefühl als Mensch mit dissoziativer Identitätsstruktur nach Mind Control/ extremer Gewalt mit "modernen Methoden". Es gibt Möglichkeiten, so genannte "Hüllenpersonen" zu definieren, wodurch das Viele-Sein verschleiert wird und keine/ kaum Amnesien oder sichtbare Wechsel auftreten. Diese Form der DIS wird häufig nicht erkannt. Literatur: "Jenseits des Vorstellbaren" (Alison Miller), "Innenansichten dissoziierter Welten" (Gaby Breitenbach)
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